Regionalität und Nachhaltigkeit in der Architektur
Das Baugewerbe hat in den letzten Jahrzehnten in Südtirol wortwörtlich „floriert“. Zahlreiche Wohn-, Geschäftsgebäude als auch öffentliche Gebäude sind in dieser Zeit aus dem Boden gewachsen. Dies hat vor allem mit der Entwicklung zu tun, welche das Land in dieser Zeit genommen hat. Das Wirtschaftswachstum mit seinen hohen Steigerungsraten und der zunehmende Wohlstand gaben der Bevölkerung, als auch der öffentlichen Hand die Möglichkeit, viele Projekte zu verwirklichen. Für Privatpersonen stand dabei die Verwirklichung des Traumes nach einem Eigenheim im Zentrum des Interesses. Die Realisierung dieses Wunsches nach einem eigenen Haus mit Garten und Garage hat dazu geführt, dass wir in Südtirol zu den Gegenden mit höchster Eigenheimdichte Europas gehören. Diese goldenen, dem materiellen Wohlstand verpflichteten Jahre, haben in vielerlei Hinsicht ihre positiven wie auch negativen Spuren hinterlassen. Viele Betriebe mit den dazugehörigen Arbeitsplätzen entstanden im Baugewerbe und den dazugehörigen Bereichen. Zugleich musste auch Bauland in einem hohen Maße geschaffen werden. Damit veränderte sich auch vielerorts die Siedlungsstruktur. Viele Dörfer zersiedelten und die historischen Dorfkerne entleerten sich zusehends.
Eifrig wurden Wohnbau- und Gewerbezonen ausgewiesen und erst im Nachhinein wird ersichtlich, dass dies nicht nur Auswirkungen auf das Landschaftsbild sondern auch auf die Sozialstruktur und das Zusammenleben der Menschen hat. Nachhaltige Konzepte fehlten vielerorts. Auch heute fehlt es oft noch an der Weitsicht, zukünftige Herausforderungen und Entwicklungen in die Planung mit einzubeziehen. Das fehlende Hinterfragen von Bedürfnissen und das bedingungslose Vertrauen in die Gesetze des freien Marktes haben unter anderem dazu geführt. Hält man sich vor Augen, wie der Großteil der Südtiroler noch vor 50 Jahren gelebt, gearbeitet und gewohnt hat, so ist der Wandel nahezu radikal. Alte Höfe in denen früher 15-köpfige Familien gelebt haben, müssen neuen Bauten weichen, denen die Standards der heutigen Zeit übergestülpt werden: Kubatur- und Abstandsgrenzen, Gebäudehöhen, Wärmedämmwerte und angesagte Materialien sorgen auf eine unerklärliche Weise für eine Art von „unbeseelter Architektur“. Besonders im oberen Vinschgau, in dem sich infolge dieser Wohnbaupolitik in Kombination mit der hier üblichen Realteilung (Besitz wird zu gleichen Teilen unter den Geschwistern aufgeteilt) die alten Dorfkerne entvölkert haben, sind mittlerweile viele zur Überzeugung gelangt, dass es höchst an der Zeit ist, einen anderen Weg zu gehen. Dies hat auch die Politik erkannt und unterstützt mittlerweile Sanierungswohnbauprojekte finanziell und ideologisch. Der „amerikanische Traum“ nach einem Häuschen im Grünen, der infolge der anhaltenden Wirtschaftskrise vielerorts schon ausgeträumt ist, weht jedoch weiterhin beharrlich durch mancherlei Köpfe. Doch nachhaltige Ideen, welche die Dorfzentren wieder beleben sollen, gibt es schon einige und in den nächsten Jahren wird diesbezüglich eine Renaissance zu erwarten sein.
Die Realisierung des Wunsches nach einem eigenen Haus mit Garten und Garage hat dazu geführt, dass wir in Südtirol zu den Gegenden mit höchster Eigenheimdichte Europas gehören.
Eifrig wurden Wohnbau- und Gewerbezonen ausgewiesen und erst im Nachhinein wird ersichtlich, dass dies nicht nur Auswirkungen auf das Landschaftsbild sondern auch auf die Sozialstruktur und das Zusammenleben der Menschen hat. Nachhaltige Konzepte fehlten vielerorts.
Während die Menschen zu früheren Zeiten „nur“ auf einheimische, in der unmittelbaren Landschaft vorkommende Materialien zurückgreifen konnten, veränderten die zunehmenden Möglichkeiten im Rahmen der fortschreitenden Globalisierung auch die Architektur, die Art der Bauausführung und ebenso die verwendeten Materialien. Bereits die ersten Hütten wurden mit einfachsten Materialien (Holz, Lehm, Stein) gebaut und mussten äußeren Einflüssen wie Wind Regen, Schnee, Hitze und Kälte standhalten. Mit der Zeit schuf der Mensch immer komplexere Gebäude hinsichtlich des Entwurfes (Architektur) und der Bauausführung (Bautechnologie).
Längst ist das Baugewerbe zu einem der wichtigsten Wirtschaftszweige geworden und der Markt wird dementsprechend beworben. Unzählige Baumessen stellen Jahr für Jahr immer noch neuere Materialien und Bautechnologien vor und der Markt „boomt“.
Die Geschwister „Architektur“ und „Bautechnologie“ gehen dabei leider immer öfter getrennte Wege. Intelligente Architektur zeichnet sich vielfach durch ihre Einfachheit aus. Die Verwendung immer noch neuerer Bautechnologien lässt die Gebäude oft seltsam überzüchtet erscheinen und treibt den Baupreis in die Höhe. Die Pluralität unserer Gesellschaft, der freie Markt und die Mechanismen des Kapitalismus in einer globalisierten Welt sorgen zusätzlich dafür, dass fast jedes Baumaterial an fast jedem Ort der Welt erhältlich ist. Lokale Eigenheiten betreffend Architektur und Bauweise verschwinden zunehmend und werden durch Standards ersetzt. Das Phänomen „Coca Cola“ – welche man auf der ganzen Welt trinken kann- ist im übertragenen Sinn längst schon auf das Bauwesen übergeschwappt. Das Verschwinden der regionalen Besonderheiten betreffend die Architektur und die Bauausführung tragen zu einer Verarmung der gebauten Umwelt und nicht zuletzt zu einem Identitätsverlust bei. Wenn es überall auf der Welt dasselbe gibt, dann findet sich nichts Besonderes mehr, keine Eigenheit und das Regionale verliert sich im Globalen. Der angebliche Fortschritt, die Sehnsucht nach immer demselben und dem Neuesten wird zur Gleichmacherei.
Wärmedämmungen aus Erdölnebenprodukten, energieaufwendig hergestellte Aluminiumfenster, Natursteine aus China und Indien und Hölzer aus Übersee vereiteln oft von vornherein jedes noch so gut gemeinte Ansinnen des Bauherren, ein energie- und umweltbewusstes Haus zu bauen. Der hohe Primärenergieaufwand bei der Produktion der Baumaterialien, sowie der hohe Energieverbrauch beim Transport derselben, kann oft durch die täglichen Energieeinsparungen in Bezug auf Wärmeverluste nicht mehr wettgemacht werden. Die Kosten- bzw. Energiewahrheit wird von der Bauindustrie oft bewusst verschwiegen.
Wie geht es also weiter? Die Slow-Food Bewegung hat einen möglichen kulinarischen Weg aufgezeigt: Die Rückbesinnung auf hochwertige und gesunde Speisen, hergestellt aus typischen lokalen Produkten. Alte Rezepte werden verfeinert und neu interpretiert. Ein ebensolcher Weg könnte auch für die Bauwirtschaft angedacht werden. Einheimisches Holz, Naturstein und Schafwolle – lange Zeit als unmodern und altmodisch verschmäht - könnten eine Renaissance erleben und ein qualitativ hochwertiges, regional typisches und gesundes Bauen ermöglichen. Dabei müssen öffentliche Körperschaften (Fraktionen und Gemeinden, die Forstbehörde, Land und Staat) mit dem lokalen Bauhandwerk zusammenarbeiten (z.B. Holzfäller, Sägewerke, Tischler, Zimmerleute, Steinbruchbetreiber, Steinmetze, Fliesenleger usw.).
Als Nebenprodukt hochwertiger, lokaler Materialien erhält die Bauwirtschaft zusätzlich Arbeitsplätze und die Wertschöpfung bleibt vor Ort, in der Region, denn je mehr Material von außen gekauft wird, desto mehr Geld fließt ab. In der Region investiertes Geld schafft dort einen Nutzen und Mehrwert.
Durch täglich steigende Energie- und somit Transportkosten ist die Rückbesinnung zu den heimischen Materialien auch in wirtschaftlicher Hinsicht schon bald interessant.
In unserer schnelllebigen Zeit wirken Begriffe wie „Slowfood“ als anachronistisch und doch hat sich diese Bewegung langsam und nachhaltig in der kulinarischen Landschaft etabliert. Diese Chance sollte auch der Architektur bzw. den nachhaltigen Bauen gegeben werden.
Einige Beispiele sollen erste Schritte in diese Richtung aufzeigen:
Wohnhaus in Glurns
Bei diesem Wohngebäude in Glurns wurde ein altes Recht, vergünstigtes Bauholz von der Gemeinde zu bekommen, in Anspruch genommen. Das gesamte Holz des Wohnhauses wurde aus dem heimischen Wald entnommen und massiv und unbehandelt im Gebäude verbaut. Das Holz wurde dabei nach altem, überliefertem Wissen in der idealen Mondphase wintergeschlägert. Um eine möglichst effiziente Verwertung des Holzes zu gewährleisten, wurde es je nach Qualität entweder als Rauschalung oder als Fußboden verwendet. Das gesamte Holz des Abbruchs sowie der Abfall des Bauholzes (Dachstuhl, Böden, Zwischenwände und Schalungen) wurde und wird immer noch zum Beheizen des Gebäudes verwendet und somit im besten Sinne nachhaltig entsorgt und dem natürlichen Kreislauf zurückgeführt. Der Großteil der Wandflächen wurde entweder mit Lehm oder Kalk verputzt.
Dachgeschossaufbau in Mals
Das Dachgeschoss eines relativ sachlichen und schmucklosem Gebäudes aus den 60er Jahren im Dorfzentrum von Mals wurde abgebrochen und neu errichtet. Die Ausführung des gesamten Geschosses wurde in Massivholzbauweise realisiert. Die Herstellung der Massivholzwände erfolgt in einem patentierten Verfahren ohne Einsatz von Klebestoffen und metallischen Verbindungen von einem ortsansässigen Vinschgauer Handwerksbetrieb. Das gesamte benötigte Holz wurde in den heimischen Wäldern wintergeschlägert, auf der örtlichen Säge geschnitten und ein Jahr zur Trocknung zwischengelagert, bevor die Massivholzteile zusammengefügt und schlussendlich auf der Baustelle montiert wurden.
Sämtliche sichtbaren Holzteile der Wände sind in Zirmholz ausgeführt worden. Die restlichen Flächen wurden mit Lehm verputzt und naturbelassen. Die zentrale tragende Wand dient als Speicherwand und ist mit Lehmziegeln ausgefacht und wurde ebenfalls verputzt. Für die Natursteinböden kam Südtiroler Silberquarzit zur Verwendung. Das Holz des Nussbaumes, der vor dem Haus gestanden hat, findet sich heute teilweise bei den Möbeln wieder. Die einfache und zurückhaltende Architektur lässt die hochwertigen, einheimischen Materialien mit ihrer einzigartigen Haptik zusätzlich zur Geltung kommen.
Wohnhaus im Dörfl in St. Valentin
Auch bei diesem Projekt in St. Valentin a.d.H kam das oben erwähnte Holzbausystem zum Einsatz. Der Bauherr wollte ursprünglich das landwirtschaftliche Gebäude abreißen und durch einen Neubau ersetzen. Stattdessen wurde im alten Stadel eine Betondecke zwischen Kellergeschoss und Erdgeschoss eingezogen und darauf der Massivholzbau gestellt. Auf diese Weise konnte das äußere Erscheinungsbild des Gebäudes an dieser ortsbildprägenden Situation am Eingang des Dorfes erhalten werden.
Haus am Waal in Laatsch
Bei diesem neuen Wohnhaus in einer Erweiterungszone von Laatsch bei Mals wurde das Obergeschoss aus Sichtbeton ausgeführt. Als Zuschlagstoff für den Beton kam „Laaser Marmor“ zum Einsatz. Der Verwendung dieses für den Vinschgau so typischen und edlen Materials in dieser neuartigen Form, lässt den Baukörper weiß und monolithisch erscheinen und bildet einen farblichen Kontrast zu den Sichtsteinflächen der Umfriedungsmauern, welche aus dem bräunlichen Bruchstein vom „Vinschgauer Sonnenberg“ hergestellt wurden.
Gasthaus in Mals
Die gesamte Einrichtung und die Böden dieses Gasthausumbaus in Mals wurden von einem ortsansässigen Tischler in heimischer Ulme hergestellt, welche einige Jahre zuvor oberhalb von Mals geschlagen wurde. Das gesamte Holz der Böden als auch der Möbel wurde unbehandelt belassen und hat mittlerweile eine unverwechselbare Patina angesetzt.
Diesen Artikel finden Sie auch im gedruckten Baufuchs 2013
Fachautor
Dr. Arch. Jürgen Wallnöfer
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